„Ich habe seit drei Wochen eine Spange“. Wer das sagt ist kein Teenager: ich bin 53 Jahre alt. Entschieden habe ich mich für diese funktionelle kieferorthopädische Intervention, weil ich mit 20 Jahren ein perfekt korrigiertes Gebiss hatte, sich Kiefer und Zähne aber rund um den 30., 40. und 50. Geburtstag bewegten und damit mein Lächeln veränderten. Die Schaufeln kippten zusehends zueinander und der Biss entwickelte sich zu einem Tiefbiss. Ich hatte morgens schon müde Augen. Ich erspürte mit der Zunge eine sich länglich aufwölbende Partie der Wangenschleimhaut, die ich nachts zwischen die Zahnreihen geklemmt habe. Ich hatte Mühe, eine angenehme Ruhestellung mit Ober- und Unterkiefer zu finden. Seit Jahren flackerten Schulter- und Nackenprobleme auf, die drohten chronisch zu werden.
Apparatur als Kind
Als Kind brauchte ich bis zur 3. Klasse den Daumen zum Ein- und Durchschlafen. Ich pflegte also einen sog. Habit. Der Oberkiefer schob sich dadurch deutlich vor den Unterkiefer und ich hatte Hasenzähne. Die längst fällige Entwöhnung vom Daumenlutschen geschah durch den Einsatz einer festsitzenden Apparatur im Ober- und Unterkiefer: den Mund konnte ich gar nicht öffnen. Ich weinte viele Tränen, hatte schlaflose Nächte und Schmerzen im ganzen Kopfbereich; ganz zu schweigen von der Scham, die ich in Lagern mit diesem Monoblock verspürte. Es folgten herausnehmbare Apparaturen über 5 Jahre. In den 70-er Jahren sprach niemand über Anti-Habit-Settings oder von Osteopathie oder Craniosacraltherapie. Auch sah niemand einen Zusammenhang zwischen den kieferorthopädischen Eingriffen und meinen Augenproblemen.
Bionator
Als Logopädin, die myofunktionelle Therapie anbietet, arbeite ich mit funktionell tätigen Kieferorthopäden zusammen. Diese wenden Apparaturen an, welche zwar aus hartem Kunststoff und Draht angefertigt sind, aber in der Regel keine Haltevorrichtungen an den Zähnen haben und darum locker im Mund liegen, ein sogenannter Bionator. Bei jeder Mundbewegung turnt diese funktionelle Spange regelrecht im Mund herum. Dadurch wird die Zungen- und Lippenmuskulatur beim Sprechen und Schlucken trainiert. Einzelne Zähne richten sich und das Einpassen der oberen und unteren Zahnreihe kommt zustande. Mit einer solchen elastisch offenen Apparatur kann man sprechen und trinken. Man sollte eine funktionelle Spange 15 auf 24 Stunden tragen.
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Wirkungen
Ich habe mich für diesen Bionator entschieden. Die Wirkung ist frappant. Der Bionator löste in den ersten drei Tagen eine gut wahrnehmbare Entspannung entlang der Wirbelsäule aus. Auch meine Gesichtszüge lockerten sich. Wie kommt es, dass ich anders aussehe und mich anders fühle? Durch den fortschreitenden Tiefbiss aktivierte ich meine Nacken-, Schulter- und Kiefermuskulatur immer mehr. Dies entfällt, da ich weniger zubeissen muss. Die Drähte vorn und seitlich schützen die Zähne vor dem Druck der Wangen- und Lippenmuskulatur. Verblüffend finde ich die durch den Bionator gesteuerte korrekte Zungenruhelage, so dass ich sofort und anhaltend keine Schulter- bzw. Nackenschmerzen und keinen Druck im Augenbereich mehr verspüre. Als anfängliche Reaktion auf die Spange bildete sich eine Aphte; ein für den Bionator bekanntes Einstiegsphänomen: man produziert die ersten Tage mehr Speichel und der Mund „wehrt“ sich gegen das Unbekannte. Die grossen emotionalen Symptome blieben aus. Der funktionelle Kieferorthopäde informierte mich, dass es zu unterschiedlichsten vegetativen Symptomen (Wut, Trauer) und vermehrtem Träumen kommen könnte.
Ich trage meinen Bionator nun immer, wenn es die Situation erlaubt. Auch wenn ich weiss, dass der Weg bei Erwachsenen ein viel längeres Prozedere ist als bei Kindern, bin ich für mein Wohlbefinden voller Zuversicht mit Draht im Mund unterwegs, sogar zwischen Weihnachten und Neujahr auf der Aare rund um Bern. Bionator ahoi!
Sibylle Wyss-Oeri
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