Viele Eltern als auch Fachpersonen wünschen sich Informationen und Beratung hinsichtlich mehrsprachiger Erziehung. Aber aufgepasst, über dieses Thema kursieren Unwahrheiten und Trugschlüsse. Nachfolgender Beitrag behandelt vier weitverbreitete „Mythen“.
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(14.02.2019)
1. Ein mehrsprachiges Aufwachsen ist eine mögliche Ursache für Sprachentwicklungsstörungen.
Falsch! Mehrsprachigkeit begünstigt das Auftreten einer Sprachentwicklungsstörung nicht. Die Prävalenz bei ein- und mehrsprachigen Kindern ist identisch.
In der Schweiz mag der Eindruck entstehen, dass mehrsprachige Kinder häufiger von Sprachentwicklungsstörungen betroffen sind als einsprachige. Diese Beobachtung ist zwar korrekt, lässt sich jedoch keineswegs auf die Mehrsprachigkeit zurückführen. Vielmehr spielt ein anderer Faktor eine Schlüsselrolle, der sozioökonomische Status: Sprachentwicklungsstörungen treten bei Kindern mit einem niederen sozioökonomischen Status gehäuft auf und Kinder mit Migrationshintergrund gehören öfters tieferen sozialen Schichten an.
2. Eltern sollten mit ihren Kindern die Umgebungssprache (d.h. Deutsch in der Deutschschweiz) sprechen.
Nein! Es ist nicht empfehlenswert Eltern zum Gebrauch der Umgebungssprache zu zwingen. Falls Eltern bruchstückhaft Deutsch sprechen, wäre dies geradezu fatal, weil sie nicht als Sprachvorbilder taugen.
Ermutigt die Eltern lieber zum Sprechen ihrer „Herzenssprache“ – der Sprache, in der es ihnen am besten gelingt Gedanken und Gefühle auszudrücken (z.B. Kroatisch; Tamilisch). Ferner berauben wir Kinder einer Kultur und Sprache, wenn sie keine Gelegenheit erhalten die Sprache der Eltern zu erlernen. Wie soll demnach ein Kind mit seinen rein türkisch sprechenden Verwandten kommunizieren?
3. Mehrsprachigkeit stellt eine Überforderung dar, ganz besonders für Kinder mit einer Beeinträchtigung.
Unsinn! Das Gehirn hat Platz für mehr als eine Sprache. Wir sind von Geburt an in der Lage mehrere Sprachen zeitgleich zu lernen. Die Fähigkeit zum Spracherwerb ist Teil unserer Veranlagung. Daher klappt Sprachenlernen selbst bei eingeschränkten kognitiven Ressourcen. Die Forschung zeigt, dass Kinder mit einer Beeinträchtigung mehrsprachig werden können.
4. Wenn ein Kind Sprachen mischt, ist es ein Grund zur Besorgnis!
Keine Angst! Das Mischen von Sprachen gehört zum mehrsprachigen Familienalltag. Es ist natürlich, dass eine Mutter mit ihrer Tochter hauptsächlich Kroatisch spricht und ins Schweizerdeutsche wechselt, sobald Spielkameradinnen zu Besuch sind. Kinder hören dies bei ihren Eltern und imitieren sie.
Sprachmischungen zeugen teils sogar von Kompetenz. Etwa wenn ein Kind bei einer Wortschatzlücke in der gerade gesprochenen Sprache auf andere Sprachen zurückgreift (z.B. I want the „Kindsgibändel“). Auch sprachgewandte Erwachsene verwenden Ausdrücke anderer Sprachen als stilistische Mittel.
Falls einem Kind trotz ausreichendem Kontakt mit der jeweiligen Sprache häufig die Worte fehlen, sollte man hellhörig werden. Vielleicht weist es auf eine Sprachstörung hin.
Weltweit ist Mehrsprachigkeit heute eher die Regel als die Ausnahme und bringt Vorteile in unserer durch Globalisierung geprägten Gesellschaft. Lassen Sie sich durch diese „Mythen“ nicht täuschen und fragen Sie bei Unsicherheiten bei logopädischen Fachpersonen nach.
Rahel Schmuki
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