(Juli 2017) Meine Eltern haben mir beigebracht, dass man nicht «schlarpen» soll (hörbares Nachziehen der Fersen beim Gehen), weil man das nicht tue. Ihnen glaubend habe ich mir angewöhnt, die Füsse anzuheben. Umso erstaunter war ich, als eine Lehrlingskollegin im Betrieb schlarpend umherging. Nach dem Erstaunen folgte das Genervt-sein. Dass ein Mensch etwas tut, was man nicht tut, fand ich dreist und unhöflich. „Dieser Mensch muss faul sein“, dachte ich mir, „ansonsten würde er die Füsse hochheben“. So entstand (m)ein Feindbild. Als Folge dieses Feindbildes hätte sich mein Verhalten meiner Arbeitskollegin gegenüber verändern können. Ich wäre vielleicht gereizter geworden. Ich hätte möglicherweise bei Gelegenheit darauf hingewiesen, dass Unhöflichkeit eh ein Thema sei bei ihr.
Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg (GFK) versucht Feindbilder aufzulösen, damit friedliche Verbindung zwischen den Menschen besteht. Dazu muss ich als Erstes bemerken, was ich denke: «Sie schlarpt, obwohl man das nicht macht!» Als Zweites nehme ich mein Gefühl wahr: Ich bin genervt. Als Drittes gehe ich auf die Suche nach meinem unerfüllten Bedürfnis, denn die GFK geht davon aus, dass alle Gefühle erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen entspringen. Es könnte das Bedürfnis nach Rücksichtnahme sein. Als Viertes überlege ich mir, wie ich mir mein Bedürfnis nach Rücksichtnahme erfüllen könnte. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich könnte z.B. auf die Arbeitskollegin zugehen um zu erzählen, wie es mir dabei geht, wenn ich ihre Schritte höre. Dass dies eine Kindheitserinnerung hochkommen lässt, gekoppelt mit unangenehmen Gefühlen und wertenden Gedanken, die ich bedaure. Ich könnte sie schlicht und einfach fragen, wie es ihr geht, wenn sie das von mir hört und ob sie auch solche «man tut dies und das» kennt. Vielleicht aber lösen sich meine genervten Gefühle einfach auf, durch meine Erkenntnis, woher sie kommen und mich stört das Geräusch nicht mehr.
So oder so wird deutlich: Durch diese Herangehensweise hat sich das Feindbild aufgelöst. Anstelle dieses Bildes habe ich Verbindung aufgenommen, zu mir und zu meiner Arbeitskollegin, so dass ich sie als den Menschen sehen kann, der sie wirklich ist. Mich selber befreie ich von einengenden und dadurch belastenden Gedanken. Gleichzeitig bin ich handlungsfähig geworden, denn oft sind Feindbilder begleitet von dem Glaubenssatz: «Der ist halt so, da kann ich eh nichts ändern!», so dass sich zu meinem Genervt-Sein das Ohnmachtsgefühl gesellt.
Kennen Sie solche Situationen, in denen ihre Gedanken lospreschen und Urteile bilden? Wo sich Massstäbe zeigen, über das, was man zu tun hat und was nicht? Wie man sein soll und wie nicht?
Manchmal wird dieses Denken als «Kopfkino» bezeichnet. Denn je nachdem, ob man das Bild anhält oder weiterlaufen lässt, entstehen ganze Filme. GFK bietet mir und anderen Menschen die Chance mitzubestimmen, ob wir in diesen Filmen mitspielen wollen.
Ula Trinkler
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