Wir alle sind nur da, weil sich in unserem ältesten Gehirnteil, dem Stammhirn, noch während wir im Mutterleib waren, Reflexe gebildet haben.
Eine ganze Kette von Reflexen benutzten wir, um uns durch den Geburtskanal zu bewegen, andere benötigten wir noch nach unserer Geburt, um überleben zu können.
Mit der Zeit haben wir die Reflexe durch gewollte, steuerbare Muskelbewegungen ersetzt.
Es ist jedoch so, dass über 90 Prozent der Menschen nicht alle Reflexe in solche Bewegungsmuster umwandeln konnten und dies mit unbewussten Kompensationen zu kaschieren versuchen. Dadurch entstehen während des Lebens Beschwerden, die wir oft nicht mehr mit diesen noch immer aktiven frühkindlichen Reflexen in Verbindung bringen.
In der Logopädie treffen wir oft auf Kinder, welche Auffälligkeiten durch noch aktive frühkindliche Reflexe zeigen.
Ein Beispiel dazu:
Der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex (ATNR)
Ein Kind in meiner Therapie möchte etwas malen. Dabei schaut es aber nicht aufs Blatt, sondern irgendwohin. Ich ermahne es, es solle doch bitte dorthin schauen, wo der Stift ist. Daraufhin malt es entweder nicht mehr, oder es schiebt das Papier diagonal weit von sich.
Der ATNR wird auch Fechterstellung genannt und ist bei Neugeborenen z.B. auf dem Wickeltisch gut auszulösen: Dreht man dem Baby den Kopf nach rechts, streckt es automatisch das rechte Ärmchen aus; das heisst, der ATNR ist noch vorhanden. In den ersten Lebensmonaten wird der ATNR normalerweise unterbunden und die Augen werden unabhängiger von der Kopfbewegung.
Ein Kind, welches den ATNR nicht integriert hat, kann nicht zur malenden Hand schauen, sonst streckt sich der Arm nämlich ungewollt aus, und es fährt über das Blatt hinaus.
Ohne Reflex-Integrationsübungen entstehen Kompensationen, welche sich durch Unlust am späteren Schreiben, durch Aggressivität, durch verkrampfte Schreibhaltung und vieles mehr bemerkbar machen.
Das Schlimme daran ist, dass ein so (noch) aktiver Reflex meistens unerkannt bleibt und dem Kind Unrecht getan wird, indem ihm eine Absicht seines negativen Verhaltens unterstellt wird.
Durch Integrieren der noch aktiven frühkindlichen Reflexe in willkürliche Bewegungsabläufe machen sich ebenfalls im Sprechbereich eindrückliche Fortschritte bemerkbar.
Wenn Sie als Eltern derartige nicht steuerbare Bewegungsmuster bei Ihren Kindern erkennen, wenden Sie sich an den Kinderarzt. Logopädinnen, welche dies bei Therapiekindern feststellen, arbeiten sinnvollerweise mit einer Ergo- oder Psychomotorik-Therapeutin zusammen und/oder besuchen eine spezielle Weiterbildung.
Cristine M. Koller-Imhof
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